Am Freitag, den 22. Oktober 2021, fand in der Katholischen Stiftungshochschule in München ein Fachtag zum Thema Community Organizing statt.
Hester Butterfield, jaz-Vorsitzende und Dozentin für Gemeinwesenarbeit an der HS, war Mitgestalterin des Fachtags, das jaz-Projekt in der Siedlung „Alte Heimat“ wurde in Workshops und der Podiumsdiskussion thematisiert.
Details zum Programm finden sich auf diesem Flyer.
Bericht über den Fachtag:
Mit nahezu 70 Teilnehmenden war der gemeinsam von der Katholischen Stiftungshochschule München (KSH), dem Forum Community Organizing e.V. (FOCO) sowie dem Jane Addams Zentrum e.V. am 22. Oktober 2021 in den neuen Räumlichkeiten der Münchener Hochschule ausgerichtete Fachtag „Community Organizing: ein Thema für die Soziale Arbeit!“ ausgesprochen gut besucht. Spannende Vorträge und intensive Diskussionen zogen sich über den gesamten Nachmittag hinweg bis hin zur abschließenden Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen aus der Studierendenschaft, der Fakultät, der Münchener Stadtverwaltung, der örtlichen Wohlfahrtspflege sowie der lokalen Organizing-Praxis. Insbesondere die rege Beteiligung von Praktiker*innen aus den Münchener Stadtteilen war sehr erfreulich.
Nach der Begrüßung durch den Dekan der Fakultät Soziale Arbeit an der KSH, Herrn Prof. Dr. Jochen Ribbeck, führte Prof. Dr. Lothar Stock (FOCO) mit seinem Eröffnungsvortrag zunächst in die Grundlagen und Prinzipien von Community Organizing (CO) ein, um daran anschließend die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede von CO und Sozialer Arbeit herauszuarbeiten.
Während Letztere in aller Regel innerhalb bestehender Machtverhältnisse agiert, ist es explizites Anliegen von CO, diese im Sinne einer (weiteren) Demokratisierung der Gesellschaft zu verändern. Sehr wohl aber – so Prof. Stock – lassen sich Prinzipien und Handlungsinstrumente aus dem CO für die Soziale Arbeit nutzbar machen und führen somit zu einer Erweiterung des sozialarbeiterischen Handelns. Im Ergebnis werden dadurch Empowermentprozesse der Adressat*innen der Sozialen Arbeit angestoßen, Selbstorganisationsprozesse der Professionellen in der Sozialen Arbeit befördert, die politische Dimension der Sozialen Arbeit sichtbar sowie deren Selbstverständnis als Menschenrechtsprofession gestärkt, lautete sein Fazit.
Zur Powerpoint-Präsentation von Prof. Stock geht es hier.
Die an den Eröffnungsvortrag anschließenden Workshops waren analog zum vierschrittigen Organizing-Prozess strukturiert. Hierbei wirkten jeweils erfahrene Organizer aus der aktuellen CO-Praxis mit Inputs und Fallbeispielen mit. Die aktive Teilnahme von Praktiker*innen aus der Münchener Quartiersarbeit und auch von Studierenden mit ihren konkreten Fragen an die Referierenden bereicherte diese intensiven 90 Minuten überaus. Und wie immer war die Zeit wieder einmal viel zu kurz, um auf alle von den Teilnehmenden eingebrachten Aspekte hinreichend eingehen zu können.
Paul Cromwell, FOCO-Trainer und Berater, stellte im Workshop 1 das „One on One“ (Einzelgespräch) als zentrales Handlungsinstrument im CO vor. Hiermit soll zum einen das Eigeninteresse des Gegenübers herausgefunden (wofür würde sie*er sich engagieren?) sowie zum anderen eine Beziehung zu dieser Person aufgebaut werden. Wie diese Gespräche mit einer Dauer von etwa 30 bis 45 Minuten konkret ablaufen und wie diese überhaupt zustande kommen, wurde von Paul Cromwell anhand von Rollenspielen und mehreren Beispielen im Detail dargestellt. Sie enden stets mit der Frage nach möglichen weiteren Gesprächspartner*innen sowie mit dem Angebot einer zukünftigen Zusammenarbeit.
Per Live-Stream in den Workshop 2 zugeschaltet, ging Alima Matko, Community Organizer aus Graz, auf die im Organizing-Prozess obligatorische „Machtanalyse“ ein. Hierbei geht es darum herauszufinden, welche Personen die Ansprechpartner*innen für das jeweilige Anliegen sind (wer kann uns das geben, was wir wollen?). Ebenso wird nach möglichen Bündnispartnern gesucht, aber auch danach, wer sich möglicherweise als Gegner*in für die Durchsetzung des eigenen Anliegens erweisen könnte. Am konkreten Beispiel des „Familienwohnzimmers“ in der steirischen Stadtgemeinde Karpfenberg (ca. 22.500 Einw.) wurde dies von Alima Matko beispielhaft verdeutlicht. Der Erfolg stellte sich genau dann ein, als die Initiative aktiv das Heft des Handelns selbst in die Hand nahm anstatt weiterhin passiv auf Antworten aus der lokalen Politik zu warten.
Inhaltlicher Fokus von Workshop 3 bildete die in jedem Organizing-Prozess zu entwickelnde „Strategie“ zur Durchsetzung der eigenen Anliegen. Hierbei handelt es sich um den vorab geplanten (aber dennoch flexibel handhabbaren) Ablauf verschiedener Handlungsoptionen (je nachdem wie sich die Gegenseite verhält). Anne-Marie Marx, 1. Vorsitzende von FOCO, berichtete über die verschiedenen strategischen Schritte der Bürger*innen bei ihren am Ende erfolgreichen Bemühungen zum Erhalt einer Fußgängerbrücke im Saarbrücker Stadtteil Malstatt. Seitens der Stadtverwaltung war ursprünglich der ersatzlose Abriss des in die Jahre gekommenen Bauwerks, das die beiden Gebiete von Malstatt über eine breite Bahntrasse hinweg miteinander verbindet, vorgesehen. Mittels einer Zählung der täglichen Nutzungsfrequenz, einer Unterschriftensammlung, der Gewinnung von Bündnispartner*innen auf beiden Seiten der Bahntrasse sowie einer vielfältigen Öffentlichkeitsarbeit wurde schließlich erreicht, dass mit 1,2 Mio. Euro aus dem städtischen Haushalt an der Stelle des alten Übergangs nunmehr „die schönste Fußgängerbrücke des Saarlands“ steht.
Ebenfalls per Live-Stream zugeschaltet, führte Ute Fischer, Community Organizer aus Aachen, im Workshop 4 anhand ihrer Erfahrungen in Baesweiler-Setterich, einer ehemaligen Bergbaustadt in der Städteregion Aachen, aus, wie als letzter Schritt im Organizing-Prozess der „Aufbau nachhaltiger Strukturen“ gelingen kann. Dies können zum einen schriftlich vereinbarte, dauerhafte Mitspracherechte bei zukünftigen Entscheidungen, die das Leben der Menschen im Stadtteil betreffen, sein, zum anderen aber auch die Etablierung einer kontinuierlichen Interessenvertretung der Stadtteilbewohner*innen. In beiden Fällen kommt es langfristig zu einer Veränderung der bestehenden Machtverhältnisse und damit einhergehend zu einer Demokratisierung des Alltagslebens. Zentral hierfür sind die Gewinnung von Schlüsselpersonen aus dem Stadtteil, ein „langer Atem“ aller Beteiligten sowie zeitliche und auch personelle Ressourcen für CO.
Zum sicherlich einem der Highlights des Fachtags gestaltete sich die an die Workshop-Phase anschließende Präsentation von Good Practice-Beispielen durch Paul Cromwell. Auf Fragen, Anregungen und Kommentare aus den Workshops wurde hierbei explizit Bezug genommen.
Gestärkt durch einen kleinen Imbiss folgte zum Abschluss des Fachtags die von Prof. Dr. Stock moderierte Podiumsdiskussion einmal anders! Auf dem Podium stellten sich Hanna Becker (Studentische Vertretung an der KSH), Grit Schneider (Stellvertretende Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Bezirksverband Oberbayern), Gerhard Mayer (Leiter des Amtes für Wohnen und Migration der Landeshauptstadt München), Hester Butterfield (Jane Addams Zentrum e.V., München) und Prof. Dr. Andreas Schwarz (KSH) den vielfältigen Fragen aus dem Publikum. Einigkeit bei allen Beteiligten bestand schließlich dahingehend, dass sowohl im Studium an der KSH als auch in der lokalen Praxis dem Handlungsansatz von Community Organizing zukünftig eine größere Beachtung geschenkt werden sollte. Als erste Maßnahmen in diese Richtung wurden an der Hochschule eine in der Zukunft stärkere Berücksichtigung von CO im Curriculum in Aussicht gestellt und von Seiten der Verwaltung bzw. der Praxis für das Jahr 2022 ein Fortbildungsangebot in Community Organizing sowie eine entsprechende Projektbegleitung für die im Bereich der Nachbarschaftsarbeit tätigen Mitarbeiter*innen.
Mit diesen doch sehr Mut machenden Absichtserklärungen endete ein mit viel Input versehener, die Teilnehmenden stark einbeziehender und gleichsam sehr inspirierender Fachtag zum Zusammenwirken von Community Organizing und Sozialer Arbeit.
Autor: Lothar Stock, Dezember 2021