Rezension zu „Shell Trapp – Dynamiken des Organizing“

Wir freuen uns sehr über diese ausführliche Rezension von Prof. Dr. Andreas Schwarz. Die komplette Rezension finden Sie hier: https://www.socialnet.de/rezensionen/28038.php

Shel Trapp, Jane Addams Zentrum e.V. (jaz) u.a.: Dynamiken des Organizing

Thema

Community Organizing – das Arbeiten in, mit und für Nachbarschaften ist seit vielen Jahren ein Ansatz, der für unterschiedliche Felder der Sozialen Arbeit befruchtend sein kann. Auch in Deutschland ist die Landkarte des Organizing breit entfaltet. Unterschiedliche Organisationen, Pointierungen und Ausrichtungen sind etabliert und entwickeln sich weiter. Das vorliegende Buch ist nun in deutscher Übersetzung vorhanden. Der Titel stellt in Aussicht, dass die Dynamiken des Organizing im Focus stehen. Der amerikanische Community Organizer Shel Trapp berichtet davon, wie Menschen in Gemeinschaften ermutigt werden, die innere Haltung der Handelnden gestärkt und letztlich die Macht der Organisation aufgebaut werden kann. Aber er grenzt im Vorwort ein, dass hier nicht zu lernen sei, wie man zum Organizer wird. „Dieses Buch ist eine Kombination aus Kriegsgeschichten und Organizing-Strategien“. Shel Trapp gibt einen tiefen Einblick in sein Denken und Handeln als Organizer. In sehr anschaulicher Sprache beschreibt er seine Motivationen und Strategien seiner langjährigen Tätigkeit, die darauf zielte, gewöhnliche Menschen zu begleiten, Außergewöhnliches zu leisten.

Autor

Shel Trapp (1935 – 2010) war seit den 1960er Jahren in der US-amerikanischen Community Organizing Szene aktiv. Er war Pastor einer Methodisten-Kirche in Chicago und wechselte 1965 zur neu gegründeten ‚Organization for a better Austin‘ (einem Stadtteil von Chicago), die von Tom Gaudette geführt wurde. Gaudette war bei der Industrial Areas Foundation viele Jahre die rechte Hand von Saul Alinsky.

Shel Trapp arbeitete nicht nur selbst als Organizer in vielen unterschiedlichen Städten der USA, oder gab verschiedensten Organisationen als Berater Impulse zu deren Entwicklung, sondern war auch lange Jahre als Trainer in der Ausbildung zum Community Organizing tätig.

Entstehungshintergrund

Hille Richers, FOCO-Gründungsmitglied und Thomas Fues, von Shel Trapp in den 1970er Jahren ausgebildeter Organizer stellen in ihrem Vorwort die Frage, warum jetzt ein Buch mit Geschichten aus den 1960er bis 1990er Jahre aus dem Amerikanischen übersetzt wird. Sie antworten, dass in Zeiten, in denen sich Politikverdrossenheit und Ohnmachtsgefühle angesichts von Globalisierung und Abbau sozialstaatlicher Standards sich breit machen der Blick auf das Community Organizing lohnt. Hester Butterfield, 1. Vorsitzende des Jane-Adams-Zentrums, beschreibt das Engagement Shel Trapps und seine Begeisterung für Menschen. Seine Inspiration und sein Humor sind auch im Deutschland der 2020er Jahre eine Quelle zur Bearbeitung von Machtstrukturen. Die Geschichten sind Beispiele wie normale Menschen ihre Achtung und Respekt wiedergewinnen können.

Shel Trapp fragt: „Worum geht es? Was ist das Thema und wie kann es als Forderung formuliert werden, die umsetzbar ist, die gewonnen werden kann? Wer kann uns geben was wir wollen? Wie machen wir diese Leute auf uns aufmerksam? Wie kann die Forderung bei ihnen Beachtung finden, sie mitziehen?“ In den Geschichten dieses Buches vom Mut der Menschen in der Nachbarschaft und ihren Strategien, effektive Forderungen zu stellen, zu erfahren, war Anlass für die deutsche Übersetzung. Herausgegeben wird das Buch vom Jane-Adams-Zentrum und von Forum Community Organizing.

Aufbau und Inhalt

Die Entstehung des Buches geht zum einen auf den Newsletter zurück, den Shel Trapp viele Jahre zweimonatlich veröffentlichte. Darin war eine Rubrik ‚Dynamics of Organizing‘ enthalten. Diese Texte lieferten die Grundlage für den zweiten Teil dieses Buches. Im ersten Teil wird die Entwicklung Shel Trapps zum Organizer und sein Arbeiten an verschiedenen Orten der USA aufgefächert. Gordon Mayer, der Mitverfasser des amerikanischen Originals schreibt: „Wir trafen uns mehrerer Monate lang einmal die Woche und Trapp erzählte mir die Geschichte seiner Karriere, dies führte zu den Kapiteln der ersten Hälfte dieses Buches“. Shel Trapp beschreibt es etwas anders, indem er Mayer dankt: „der sich stundenlang mit mir an den Küchentisch gesetzt und versucht hat, einen Sinn in meinem endlosen Geschwafel zu erkennen“.

Und so erhalten die Leser*innen in den ersten neun Kapitel eine vielschichtige Beschreibung vom Leben eines Community Organizers. Zunächst stellt Shel Trapp aber dar, ‚was ich von meinem Hund gelernt habe‘. In dieser Einführung skizziert er Bedingungen und Herangehensweisen des CO. Hier werden die Fülle seiner Sprache und der besondere Ton bereits deutlich. In dem folgenden ersten Teil des Buches sind chronologisch die Stationen beschrieben, an denen Shel Trapp sein Arbeiten für und mit Menschen betrieb. Eine Vielzahl von Aktionen, Gemeinschaften, Erfolgen und Scheitern ergeben ein großes Bild dieses tätig seins.

Etwa das Arbeiten in einer afro-amerikanischen Nachbarschaft in den 1960er Jahre mit dem Ergebnis, die Kinder in die öffentlichen Schulen zu integrieren. Ausgangspunkt für diesen Erfolg waren aber Einkaufswägen, die im Umfeld eines Einkaufmarktes immer wieder Unmut erzeugten. In diesem Kapitel wird die Reichweite eines gelungenen Organizing beschrieben. Die Bürger*innen durch erste Schritte zu befähigen, auch Herausforderungen anzugehen, die sie immer als unlösbar erlebten, sind entscheidend für eine langanhaltende Phase der Auseinandersetzung. Ebenso zentral wird hier die Haltung veranschaulicht, dass die Themen aus dem Kreis der Community kommen und nicht durch einen Organizer auf eine Agenda gesetzt werden können.

In einem Kapitel zu den 1970er Jahren nimmt Shel Trapp die Entwicklung des CO in den Blick. Die Erfolge und der Organisationsgrad führte dazu, dass sich mit der National People’s Action eine Struktur herausbildete, die Vernetzung über die gesamten USA herstellte. Anhand von fünf Mythen werden die Intentionen der NPA verdeutlicht, sowie Beispiele des taktischen Vorgehens beschrieben. Auch im folgenden Kapitel zu den ersten Jahren der Regierung Reagan wird die Position Shel Trapp gegenüber einer politischen Mandatierung der CO deutlich: „Wenn Community Organizations politische werden – in anderen Worten Kandidaten öffentlich unterstützen oder selbst aufstellen – fangen sie an, nach den Regeln von jemand anderen zu spielen. Um effektiv zu sein, muss eine Organisation aber ihren eigenen Regeln folgen.“ Unabhängigkeit ist für ihn ein grundlegendes Motiv, dieses gilt es für die Organisation zu erhalten und für die Menschen, die aktiv werden, herzustellen.

Dieser erste Teil „Ein Leben fürs Organizing“ endet mit einem Kapitel über die 1990er Jahre. Darin beschreibt Shel Trapp die grundsätzlichen Lektionen eines echten Organizing: man macht sich wirklich wütende Feinde, es ist ein Preis dafür zu zahlen und es setzt die Bereitschaft voraus, Risiken einzugehen. Die Veränderungen durch die sich verstärkende Globalisierung einerseits und den komplexeren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen andrerseits führten dazu, dass CO sich immer anpassen muss. Es ist ein steter Prozess des Lernens, oder wie Shel Trapp es formuliert: „Diejenigen, die die Sicherheit von Plänen und einfachen Antworten gewöhnt sind, werden fragen: ‚Wo steht die Organisation in fünf Jahren?‘ Nach 34 Jahren im Organizing kann ich dazu nur eine ehrliche Antwort geben: ‚Ich habe keinen blassen Schimmer‘“.

Diese langjährigen Erfahrungen werden im zweiten Teil des Buches unter dem Titel „Was ich gelernt habe“ systematisch entfaltet. Wieder mit einer Vielzahl von Beispielen ausgestattet werden die folgenden Bereiche, Themen und Strukturmerkmale behandelt: Aktionen, Verhandlungen, Leaders ausbilden, Wut und Konfrontation, Aus dem Bauch heraus agieren, Issue Organizing, Macht, Eigeninteresse versus Manipulation, Training, sowie Beratung.

An dieser Stelle werden die ersten beiden Kapitel, sowie die Machtthematik skizziert. Zur Erinnerung, dies ist kein Lehrbuch des Organizing. Es sind Impulse, Anregungen und Fragen, die Shel Trapp anbietet, letztlich die Aufforderung den eigenen Weg zu beschreiten. Dies wird auch durch die Überschrift zum Aktionen-Kapitel deutlich: ‚Nicht reden, sondern handeln‘. Aktionen dienen der Konfrontation und beleben die Organisation. Sie stellen ein wichtiges Instrument zum Erreichen der Ziele dar. Die Aktionsform der Demonstration beleuchtet der Autor in diesem Kapitel explizit. Dabei greift er Kritik an dieser Vorgehensweise auf und stellt ihr die Reichweite ihres Einsatzes gegenüber. Er positioniert ‚Handeln‘ zu ‚Regeln bestimmen‘. Beide sind untrennbar verbunden und aus diesem Grunde zentral für das Organizing.

Und erst aus Aktionen ergeben sich Möglichkeiten zu Verhandeln. Welche Prämissen gibt es beim Verhandeln, welche Fallen und Stolperstricke drohen und welche Vorbereitungen sind für erfolgreiche Verhandlungen entscheidend? In diesem Kapitel werden diese Fragen geklärt. Die Techniken des Rollenspiels oder Gegner-Recherche, das Wählen der richtigen Taktik und das Setzen von Rahmenbedingungen – diese und weitere Aspekte der Verhandlungsführung beleuchtet Shel Trapp: „Das Ziel von Verhandlungen ist es, so viel zu gewinnen, wie nur möglich. Das Ziel des Gegners ist es, so wenig Zugeständnisse zu machen, wie nur möglich. Also sollte man alles in seiner Macht tun, um die eigenen Chancen auf Erfolg zu maximieren und dabei die Chancen des Gegners zu minimieren“. Diese Beschreibung einer Verhandlung als ein Nullsummen-Spiel wird dann im Kapitel Macht vertieft.

Es trägt die Überschrift ‚Nett sein lohnt sich nicht‘. Pointiert werden Machtstrukturen und Empfindungen zu Macht beschrieben. Insbesondere greift Shel Trapp das Verhältnis zu Macht von machtlosen Menschen auf und die Konsequenzen für die Organizer. Macht bedeutet die Übernahme von Verantwortung. Sie stellt gleichzeitig immer auch das Risiko des Scheiterns dar und führt dazu, sich unbeliebt zu machen. „Ein weiterer Grund, warum die Menschen Macht aus dem Weg gehen, ist, dass sie von allen gemocht werden wollen. Sie sind lieber nett, lächeln und sagen ‚Danke schön‘ während sie über den Tisch gezogen werden. Bei gutem Organizing bricht man mit der Nettigkeit“.

In seinem Epilog verdeutlicht der Autor nochmals die Reichweite der Macht. Zum einen für die Menschen, die sich aus ihren machtlosen Strukturen (auch unter Hilfe des Organizing) befreien. Zum anderen für die Organizer selbst, bei denen Macht als Elixier zum Weiterarbeiten dient. Dieser Dimension stellt er die Kraft des menschlichen Geistes zur Seite. Sie ist es, die durch das Organizing entfaltet werden kann und jeder Organizer konnte Erfahrungen mit Menschen machen, „die ihre Fähigkeiten und Kapazitäten durch das Mitwirken im Community Organizing weit übertroffen haben“.

Diskussion

Dynamiken des Organizing ist ein zeitgeschichtliches, kulturexplorierendes und vor allem ein impulsgebendes Geschichtenbuch. Eine Zeit der Veränderung wird verdeutlicht, die große Herausforderungen, aber auch Chancen in sich barg. Dabei zeigen sich die gesellschaftlichen, wie politischen Strukturen deutlich unterschiedlich zu den deutschen Systematiken des 21. Jahrhunderts. Gerade dieser Blick in eine andere Zeit und in einen differgenten Gesellschaftsraum machen dieses Buch lesenswert. Die Anregungen, die aus den Geschichten Shel Trapps gewonnen werden können, sind äußerst vielfältig. Auch wenn der Autor verneint, ein Lehrbuch verfasst zu haben, sind dennoch eine große Zahl von Lernangebote darin enthalten. Der Transfer in unsere Bezüge mag mitunter herausfordernd sein. Aber gerade hierin klingt das Menschenbild von Shel Trapp an: Den Menschen (den Leser*innen) ihre eigenen Entwicklungen zuzutrauen und dabei unterschiedliche Wege zulassen…

Die Sprache die der Autor wählt ist vermutlich authentisch, man hört Shel Trapp förmlich am Verhandlungstisch oder bei Meetings. Auf diesen Stil gilt es sich einzulassen und dabei den historischen und gesellschaftlichen Kontext zu berücksichtigen. Auch seine Vorstellung und die Vehemenz von Verhandlungsführung können auf den ersten Blick verstörend wirken. Vergegenwärtigt man aber die zugrundeliegenden Ausgangsituationen und die daraus erforderlichen Strategien, wird ein grundlegendes Prinzip des Community Organizing erkennbar: Macht bündeln, indem Menschen und Gruppen zusammengeführt werden, damit diese für ihre eigenen Interessen eintreten können. Erinnert dies nicht an ein (verschollenes?) Prinzip der Sozialen Arbeit?

Fazit

Die deutsche Übersetzung von Shel Trapps Dynamiken des Organizing ist ein Geschichtenbuch des US-amerikanischen Community Organizing, das inspirierend für die Arbeit mit und für Menschen ist. Die Lebendigkeit der Sprache, sein Humor und die Vorstellungen vom guten Zusammenleben, die Shel Trapp uns mit seinem Blick auf die eigene Entwicklung zum Organizer aufzeigt, führt zu einer positiven Grundstimmung, die nachhaltig Wirkung zeigt.

Die Leser*innen erwarten eine Fülle an Beispielen des CO, anschauliche Strategien und Taktiken, sowie die Beschreibung, was es persönlich bedeuten kann, diesen Weg zu gehen. Dynamiken des Organizing ist ebenso lesens- wie erlebenswert.


Rezension von
Prof. Dr. Andreas Schwarz
Professor für Politikwissenschaften an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München


Andreas Schwarz. Rezension vom 26.04.2021 zu: Shel Trapp, Jane Addams Zentrum e.V. (jaz), Forum Community Organizin (FOCO): Dynamiken des Organizing. Menschen ermutigen – Die innere Haltung stärken – Macht aufbauen. Books on Demand GmbH (Norderstedt) 2020. ISBN 978-3-7519-3704-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28038.php